Eines Tages

„Du machst mich wahnsinnig! Echt!“ Sie stockt, schiebt den Kopf mit Kinn und allem ungläubig nach vorne und reißt den Mund ein Stück auf. „Du fragst dich jetzt nicht warum, oder? Genau so guckst du mich nämlich an.“

 

„Aber, du musst lachen“, sag ich. „Pfff!“. Sie geht auf die Zehenspitzen und nimmt ihre Jacke vom Haken. Danach laufen wir die Treppen des Hausflurs runter. „Du kannst einfach nicht aufhören! Nicht aufhören!“, sie hat eine Taschenlampe in der Hand, ich die große Handsäge und mein Blut rauscht in meinen Ohren, pulsiert in meine Adern. Endlich, denke ich.

 

Draußen ist die Luft frühlingshaft kühl, eine Amsel, jemand stellt eine leere Flasche neben den Parkscheinautomaten. Hinter der Ampel liegt schwarz der Park und als wir uns den waldigen Hügel hochschrauben hören wir den Stadtverkehr nur noch im Hintergrund und laut unser Atmen.

 

„So, wo ist jetzt so ne Robinie?“ „Hinter der Kurve da.“ Der Lichtfleck der Taschenlampe sucht mit. „Hier, die mein ich.“ „Die?“ Ich nicke. „Genau die?“, fragt sie mich und versucht, nicht zu grinsen. „Ja.“ Jetzt nicken wir beide. „Du passt auf, dass keiner kommt“, sag ich. Ich zeige dorthin, wo der Weg sein muss. „Wenn doch, dann huste!“ Ich setzte die Säge an, die auf der adrigen Rinde erst nur hin und her springt. Dann bahnt sie sich doch eine scharfe Schneise, die Späne spritzen rhythmisch ins Gebüsch. Es scheint ewig zu dauern, das Geräusch nimmt die ganze Stille ein. „Wieviel hast du?“ „Gleich die Hälfte“ „Ist die Säge stumpf?“ „Nein! Die ist einfach hart. Ich bin schon am Kernholz.“ „Kannst du nicht den Rest abknicken?“ Der Baum hängt nur noch am seidenen Fädchen. Ich lehne mich dagegen, dann fängt er krachend an zu kippen und kommt mit einem dumpfen Schlag auf dem Boden auf.

 

Ich vorne, sie hinten, tragen wir unsere Beute den Weg vom Bunkerberg hinunter, durchqueren den Park und kommen zur Straße. „Wenn jemand kommt, sagen wir...“ „Nichts“, beendet sie meinen Satz. „Ja, nichts. Genau.“

 

Zwei Frauen Mitte 30 tragen nachts eine frisch gefällte Robinie von knapp 4 Metern Länge, eine Taschenlampe und eine Handsäge über den Bürgersteig durch Berlin, schließen die Haustür auf und hieven den Baum Stockwerk für Stockwerk nach oben ins Dachgeschoß, in ihre Wohnung, am Kinderzimmer schleichend vorbei und irgendwie auf ihre Terrasse.

 

Zweieinhalb Wochen später stehe ich im Hinterhof, spanne die Sehne mit all meiner Kraft über den Robinienbogen und richte die Eisenspitze meines Pfeils senkrecht in den Himmel, in den riesigen Baum, der noch vor dem Himmel kommt. Und, ich sehe die Taube, die auf dem Ast sitzt, und ich weiß nicht warum, aber, ich lasse los. Der Pfeil schießt in die Höhe, mein erster Schuss, noch chillt die Taube, ich halte die Luft an, meine Schultern ziehen sich zusammen, als könnte ich mich für sie kleiner machen und der Pfeil rast vorbei! Einen Zentimeter! Schießt in den Himmel und ist weg. Ich wusste nicht, dass Tauben so was, wie schreien können. Sie stürzt über die Dächer davon.

 

Als ich mich frage, ob der Pfeil jetzt in einem meiner Nachbarn steckt, habe ich ein schlechtes Gewissen.

 

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