Das kleine Kälbchen Lilofee - Eine Fabel für Erwachsene TEIL I

Lilofee

 

Gerade mampfe if grünef, frifef Graf. Wifft ihr, if bin auf der Fuche nach…

 

Mmh, das war lecker. Am liebsten mag ich das Kleegras von da hinten, wo immer die braunen Schmetterschlinge herkommen. Mami holt mir gerade neues Gras. Ich bin auf der Suche nach einem ganz neuen „Schmetterschling“. So nenne ich die Schmetterlinge, die hier jeden Tag vor meine Nase tanzen. Weil sie oft Schlingen fliegen. Gestern habe ich zum ersten Mal verstanden, was der Schmetterschling mit dem dicken, blauen Fleck zu einem anderen Schmetterschling gesagt hat. Ich verstehe sie immer besser und ich kenne schon 23 verschiedene Arten von ihnen. Weil ich immer hier liege und sie beobachte. Ein paar haben lange Fühler und andere kürzere und sie haben ganz unterschiedliche  Farben und Gesichter. Gestern hat mich einer angelacht. Ganz sicher.

 

„Papi, guck mal, der Schmetterschling dort!“ „Ich kann gerade nicht, mein Schatz, wenn ich hier weggehe, dann kann ich die Sonne nicht mehr abhalten. Mami kommt dahinten mit deinem Gras. Die kann sich ihn gleich ansehen.“ Manchmal verstehe ich Papi schlecht, so als wäre er weit weg.

„Wisst ihr, die Sonne ist gefährlich, vor allem für die Augen. Deshalb machen Mami und Papi mir immer Schatten, auch, damit ich die Schmetterschlinge besser sehen und zählen und studieren kann. Ah, da kommt Mami, mit frischem Gras. Mmmh. Daf if lecker.

Alfo, if höre mein Hertf ganz doll pochen. Deshalb weiss ich, dass ich lebendig bin. Mami hat mir, als ich noch ganz klein war, Heu in die Ohren gesteckt, damit ich das Summen der Fliegen nicht hören muss. Das lenkt mich nämlich ab von meinen lieben Schmetterschlingen.

Jetzt haben Mami und Papi ein ernstes Gesicht aufgelegt. Ist was passiert? Ah, Mami nimmt das Heu aus meinen Ohren. Es muss was Wichtiges sein. Oh Gott, ist das laut. Ist das ein Hubschrauber oder der Mähdrescher von Bauer Groz? „Sssssssssss, schmschmschmschm, sssssss, schmschmschm!“ Nein, das sind Fliegen und irgendwer kaut!

„Lilo, mein Engel“, sagt Papi nun. „Mami und ich wollen dir was sagen. Ab heute gehen alle Kälbchen gemeinsam, ohne ihre Eltern, zur Wasserstelle. Und du auch, weil du jetzt groß genug bist, um mit den anderen zu gehen, wie eine große Kuh“.

“Welche anderen?“, denke ich. „Also, mein Schatz“, sagt Mami, „Papi und ich gehen jetzt mal ganz vorsichtig aus der Sonne und dann geht es los, ja? Wir sind jederzeit da für dich, wenn du uns brauchst. Wir lieben dich ja. Und zwar über alles!“

„Aber, die Sonne ist gefährlich!“, rufe ich. „Nein, das ist sie nicht. Hab keine Angst, mein Schatz“, sagt Papi. Ich schreie: „Aber, wenn sie in meine Augen kommt, dann…“ „Passiert nichts Schlimmes“, sagt Mami. „Hat die Sonne sich denn verändert? Ist die lieb geworden?“

 

Ich sehe nichts mehr. Alles ist weiß. Hilfe. Meine Augen. Ich stehe einfach so auf, weil ich denke, ich muss weg, woanders hin. In meinen Schatten. Aber, ich falle einfach nur um, weil ich nichts sehen kann. Au, meine Augen au, ich tappe über die große Wiese, die nicht mehr grün ist, sondern weiss. Nein, die Wiese ist weg, meine Wiese, mein Liegeplatz, alles ist verschwunden. Ich weine, rufe: „Hilfe, wo ist alles. Die Sonne hat die Wiese verschluckt, die Schmetterschlinge, den Himmel, die Welt. Mami, Papi!! Hilfe! Ich bin vielleicht tot!“

 

Papi hakt mich als erster unter. Dann Mami auf der anderen Seite. „Nein, du bist ganz lebendig“, sagt sie. Zum Glück. Sie sind noch da. Sie sind nicht von der Sonne gegessen, ich sehe sie nicht, aber, sie sind da. Ohne Farbe, unsichtbar zwar, aber da. Ohne Mami und Papi wäre ich verloren.

Da plötzlich sehe ich etwas. Es ist, ja, das könnte Mamis Schwanz sein, der wedelt. Und da, wo ich drauf stehe, da sehe ich Striche. Das sind, ja, Grashalme, juhuu. Alle Dinge, die weg waren, kommen zurück. Und was ist das? Hilfe. Lauter. Köpfe. Starren. Mich. An. Da sind andere Kälbchen und große Kühe. Ihre Augen sind aufgerissen und sie starren mich an. Papi und Mami haben mich fest im Griff. „Hey, ich kann selber stehen!“ Ich bin doch kein Baby! Lasst mich los!“, rufe ich Mami und Papi zu. „Meint ihr vielleicht, ich kann nicht selber auf meiner Wiese stehen?“ „Na klar, du bist doch unser großer Schatz!“ sagt Papi. Doch als sie mich loslassen, da merke ich, wie mir schwindelig wird, es ist so weiß alles und die Wiese ist ganz weich und die anderen sind so nah, ich falle hin. Die anderen Kühe starren mich noch immer an. Ich will sie gar nicht ansehen.

Und dann stehe ich plötzlich auf und schubse Papi weg! „Ich bin nicht groß! Du lügst!“ Es kribbelt plötzlich auf meiner Haut. Als gingen ganz viele Schmetterschlinge darauf spazieren. Fressen die mich auf? Ich muss mich schnell bewegen und springe auf der Stelle, immer hoch und hoch und hepp.  Da fliegen tausend Fliegen um mich her. „Ssssssssssss, sssssssss, sssss!“ Die hatte Mami sonst immer mit ihrem Schwanz für mich verwedelt. Aber jetzt machen sie mich ganz schwach, so viele, kleine Fliegen. Warum ich? Warum wollen alle zu mir? „Mami, jag sie weg!“ „Nein, mein Schatz, du kannst es!“, sagt sie. „Es stimmt nicht“, denke ich. „Das sagst du nur! Du willst mir nur einfach nicht helfen!“, rufe ich und hau Mami mit meinem Schwanz. „Mami lässt mich allein,“ denke ich. „Was hab ich ihr getan?“

 

Eins der Kälbchen fängt an zu kichern. „Du kannst mit dem Schwanz wedeln, siehst du!“, ruft eine. „Dann bleiben auch die Fliegen weg!“ „Eine Kuh, die keine Fliegen wehren kann, ahahahaaa!“, ruft ein anderes Kälbchen und alle anderen Kühe fangen plötzlich ganz laut zu lachen an.

Mami und Papi stehen da und schauen mich an. Da renne ich los und schubse das eine Kälbchen um, mit all meiner Kraft. „Lass mich! Ich bin groß und kenne alle Schmetterschlinge! Haut ab!“ Dann schubse ich die nächste Kuh und trete mit 3 Beinen gleichzeitig um mich. Das hab ich noch nie versucht und ich bin gut darin! „Pang, Paaaang, Kaaaaang!!“

 

Die Kühe rennen auseinander und tuscheln und kichern. Manche drehen sich zu mir um, schauen mich an, drehen sich dann wieder um und kichern weiter.

Ich stehe jetzt ganz still und ein salziger Tropfen kullert plötzlich aus meinem Auge. Das brennt etwas, aber es tut auch gut. Die Wiese ist nicht mehr so grün, wie heute morgen. Sie ist anders grün und durch den Tropfen sieht sie irgendwie größer aus.

„Wir lieben dich über alles“, sagen Mami und Papi, wie aus einem Munde. „Und nichts kann das ändern. Lass die anderen tuscheln. WIR sind immer für dich da und du bist für uns das Wichtigste, was es gibt. Du schaffst das, zur Wasserstelle zu gehen und selbst Schatten zu finden und Fliegen zu wehren.“ Ich glaube ihnen irgendwie nicht. Die Fliegen machen mich so schwach, dass ich mich auf nichts konzentrieren kann. Fliegen sind groß und irgendwie gefährlich und das Kauen der Kühe ist so laut wie Mähdrescher in meinen Ohren und mein Kopf tut innen weh.

 

Wenn Mami und Papi lügen, dann lügen sie auch, wenn sie sagen, dass sie mich lieb haben und sie lügen, wenn sie sagen, ich kann das schaffen.

Ich will weg. Die anderen Kühe  sind jetzt an der Wasserstelle angekommen. Gaaanz hinten erkenne ich sie noch.

Was macht denn mein Bein? Es stellt sich nach vorne, die anderen auch und ich sehe, wie das Gras unter mir wegläuft. Also, ich schaukle hin und her und das Gras schaukelt auch und geht weg und neues Gras kommt: Ich gehe! Immer weiter, Schritt für Schritt und das ist schön. Das macht einen ganz kleinen Wind in meinem Gesicht. Ich habe Durst. Alles war so anstrengend. Die anderen Kühe unterhalten sich an der Wasserstelle- Ich könnte ihnen was von Schmetterlingen erzählen, wenn ich ankomme. Oder ich denke es einfach…

Was kitzelt denn da auf meiner Haut? Es ist warm und kitzelt. Kann die Sonne so was? Anscheinend schon. (Das muss ich Mami und Papi erzählen, wenn ich wiederkomme)

Puh, alles ist so hell und so weit und immer noch weiß. Ich wusste nicht, dass meine Beine so schwere Dinger sind. Aaaah, eine Fliege! „Hilfe, Mami!“, schreie ich und schaue ganz schnell, ob die anderen das gehört haben. Jetzt merke ich, ich bin hinter die dicke Eiche gesprungen, um mich vor der Fliege zu verstecken. Die Eiche ist sicher auch eine Mami. Die macht Schatten. Aaaah, die Fliege kommt mir hinterher. Die weiß wo ich bin. Meine Beine gehen jetzt ganz schnell, so schnell, dass meine Locke nach oben fliegt. Ich renne, die Fliege kann alles mit mir machen, wenn sie mich fängt. Mami, Papi, wo seid ihr.

Zack, auf einmal bin ich da. Die Wasserstelle. Die anderen Kälbchen schlürfen und schwatzen. Ich atme und atme ganz viel Luft, weil ich nur noch so wenig hab und spitze meine Ohren. Höre ich eine Fliege?

„Also, mein Lieblingsessen sind tausend Quecken, Ruch- und Knick-Fuchsschwanzgras“. „Habt ihr von dem Wolf gehört, der umgehen soll?“ „Ach, von dem hab ich schon tausendmal gehört. Niemand weiß, ob’s den wirklich gibt.“ „Mein Vater sagt, der kommt locker unterm Zaun vorbei.“ „Wenn’s ihn überhaupt gibt. Vielleicht machen sie da auch aus ner Fliege nen Elefanten!“

„Fliege?!“, ruft mein Mund ganz von selbst. Dann tu ich so, als hätt’ ich Schluckauf. „Hiege! Hiege!“ Ich will nicht, dass sie mich bemerken und das mit den Fliegen...

Wenn ich mich ganz unauffällig hier hinstelle, dann... Autsch, der Schwanz klatschte mir voll ins Gesicht! Das tut weh! Trotzdem. Hier stehe ich gut. Die anderen Schwänze wedeln mir die Fliegen einfach weg und hier hinten ist ein wenig Schatten, weil die anderen so viele sind.

Meine Beine schmerzen und ich lege mich einfach hin, damit das aufhört. Hier unten ist der Schatten am besten. Und da kommt schon der erste Schmetterschling vorbei. Da seid ihr ja, freue ich mich. Euch gibt es hier ja auch. Da kommt ein ganz gelber plötzlich hergeflogen. So eine hab ich noch nie gesehen. Er sieht ernst aus, aber schön. Ein mittellanger Fühler und wo fliegt er hin, wo fliegt er hin? Aha, zum Kleegras, da findet er schönen Nektar. Ja, trink mal was, kleiner.  

Hilfe, was ist das? Eine Riesenfliege? Lange Flügel, blauer Körper. Hilfeeee! Ich mach mich ganz klein und halte meine Ohren mit meinen Hufen zu. Mein Fell zuckt, nein, mein ganzer Körper schüttelt sich, weil die Fliege so groß ist. Am liebsten wäre ich wieder bei Papi und Mami. Ich bin so klein.

 

„Guck mal, die Libelle!“, ruft ein Kälbchen zum anderen. Ich höre es nur leise, weil ich meine Ohren zuhalte. „Die sind hier öfter an der Wasserstelle.“ „Ich fang sie“, ruft ein anderes. „Ich hab sie schon, hehe!“

Warum bin ich denn so schwach? Bin ich kleiner, als die anderen oder hab ich eine Krankheit? Ich muss Mami und Papi später fragen. Sie sind so weit weg. Ich glaube, gleich kommt schon wieder so ein salziger Tropfen in meine Augen.

Jetzt wird es dunkler, die Sonne geht langsam weg. Alle machen sich auf den Weg zurück auf unseren Teil der Wiese und meine Beine schmerzen. Doch ich weiß, Mami und Papi warten auf mich. Deshalb kann ich immer weiter gehen, obwohl meine Beine so schwach sind. Die ganze Zeit hoffe ich, dass keine Fliege kommt. Deshalb gehe ich hinter den anderen, damit sie für mich wedeln.

 

Da hinten, das sind doch... „Mami! Papi!“, schreie ich. Und ich renne so schnell, wie ich niemals je gerannt bin. Dann werfe ich mich an ihr Fell. Alles ist wieder gut. Sie sind so warm und kuschelig und ich hab sie so lieb. „Ich hab euch lieb“, sage ich und mein Körper schüttelt sich jetzt vor Freude.

„Was ich für einen Durst hab! Und ich will Kleegras, meine Mägen knurren!“, rufe ich aus. Mami und Papi sehen sich an. „Hast du denn so viel gespielt, dass du noch Hunger hast?“ Und bist du so gerannt dass du schon wieder Durst hast?“, lachen die beiden.

„Nein. Ich habe Schmetterschlinge beobachtet und jetzt hab ich Hunger und Durst.“ „Hast du denn gar nichts getrunken an der Wasserstelle? Oder dir etwas leckeres Gras gezupft?“, fragt Mami.

Ich fühle mich komisch. Die ganze Zeit habe ich mich so darauf gefreut, nach Hause zu kommen und jetzt fühl ich mich irgendwie komisch.

„Das ist ja nicht so schlimm“, höre ich Papi sagen. „Wir besorgen dir was, ja?“ „Morgen ist ein neuer Tag. Da kannst du es wieder versuchen.“ „Morgen will ich wieder bei euch sein. Dann will ich mich hier hinlegen und alles ist wie immer. Ich will Schmetterschlinge beobachten und sie euch zeigen und leckeres Kleegras kauen“, rufe ich mit letzter Kraft.

„Aber, morgen, mein Schatz, musst du wieder zur Wasserstelle mit den anderen. Dann zupfst du dir selber Gras und schlürfst ganz frisch das Wasser an der Wasserstelle. Das ist jetzt jeden Morgen so.“ „Aber, ich will nicht“, sage ich leise. „Aber, du musst“, sagt Papi und streicht mir mit dem Huf übers Fell.

 

Ein ziehendes Gefühl kommt in meine Mägen. Jetzt ist es ganz dunkel. Während ich esse und schlürfe, erzähle ich Mami und Papi noch von dem ernsten, gelben Schmetterling, nur davon und dann schlafe ich auf meinem Platz auf meiner Wiese ganz tief ein.

In meinem Traum kommen riesige Libellen angeflogen und sie rufen im Chor: Knick-Fuchsschwanzgras, Knick-Fuchsschwanzgras, Knick-Fuchsschwanzgras!“ Ein Gedanke kommt in meinen Kopf: „Ja, ist denn heute der Tag der salzigen Tropfen?“ Und dann hole ich mit meinem riesen Schwanz aus, der so groß ist, wie 3 Kälber und haue ihn vor die Libellen, dass es nur so zischt. Da, wo sie waren, da ist jetzt eine dunkle Wolke, nein, es sind Fliegen. Tausend Fliegen sind die Wolke und sie fliegen auseinander, in tausend Richtungen, und vor mir weg.

 

Die anderen Kälbchen klatschen mir Beifall mit ihren Hufen und ich, ich schau sie an.

 

 

 

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